März 8

Jung, taff, klug, attraktiv und ungleichberechtigt

Ich sitze mit einer Parteikollegin im Stadtrat, mit der ich in unserer bisherigen gemeinsamen Politikzeit besonders viel über ihre Erfahrungen als Lokalpolitikerin gesprochen habe – vor allem über unsere Begegnungen der dritten Art mit Männern in diesem Zusammenhang (von denen natürlich nicht alle selbst Politiker sind, aber doch die meisten). Sie verkörpert für mich das perfekte Bild einer engagierten und klugen jungen Frau. Sie ist mit Anfang 20 so taff, wie ich es immer sein wollte und noch immer nicht bin. Und ja, sie ist auch verdammt attraktiv. Eigentlich sollte das irrelevant sein. Aber das ist es nicht, ganz und gar nicht. Wir arbeiten in einigen Bereichen eng zusammen, wir sitzen zusammen in Ausschüssen, Vorbesprechungen mit dem Koalitionspartner und ich erlebe mit, wie schwer es einer männerdominierten Politikwelt fällt, mit einer klugen UND gutaussehenden jungen Frau zurechtzukommen.

Frauenquote in Feigenblattausführung

Ich bewundere sie für ihr Auftreten. Ich bewundere sie dafür, wie sie die Reaktionen der Männer auf ihre Weiblichkeit ausblendet. Ich bewundere sie dafür, dass sie trotzdem immer wieder ans Redepult geht und für ihre politischen Inhalte einsteht. Als Grüne Politikerinnnen haben wir uns für eine Partei entschieden, in der Gleichberechtigung zur DNA gehört, in der die erste zu wählende Position immer ein Frauenplatz ist, in der bei großen Parteiveranstaltungen Diskussionen automatisch beendet werden, wenn keine Frauen mehr auf der Redeliste stehen sondern nur noch Männer. Als Frau brauchte ich mich in dieser Partei nicht durchzusetzen sondern nur als Person mit politischen Inhalten, für die ich einstehe. Andere Parteien haben die Frauenförderung offensichtlich auch für sich entdeckt – zumindest als Feigenblatt. So hat sich die Bochumer CDU bei der Kommunalwahl 2020 eine Frauenquote für die Ratsliste von 30 Prozent auferlegt. Jeder dritte Platz sollte von einer Frau besetzt werden. So war es dann auch: Platz 1 ein Mann, Platz 2 ein Mann, Platz 3 eine Frau … Platz 6 eine Frau. Warum nicht an 2., 5., 8. Stelle eine Frau? 1., 4., 7. wäre doch zu revolutionär für eine so konservative Partei, aber gehört natürlich auch zum denkbaren Zahlenspiel.

Am Rednerpult verloren ohne einen Ton gesagt zu haben

Vor Kurzem zeigte sich die Wertschätzung der anderen Parteien meiner Kollegin gegenüber in einer Ratssitzung auf eklatante Weise: Erst meldete sie sich einen Wimpernschlag zu spät für ihren Wortbeitrag und bekam dafür direkt einen Spruch vom Oberbürgermeister gesteckt. Kurz danach trat sie mit ihrem Laptop – den sie für ihre Rede brauchte – ans Rednerpult. Ein lautloses Raunen ging durch die Reihen. „Ach, die!“, schienen sie zu denken. Erwartungsvolle Stille ersetzte das sonst immer anwesende Gemurmel im Saal. Als sie ihren Laptop auf dem Pult abstellte, berührte dieser die empfindlichen Mikrofone und verursachte kratzende Geräusche. Direkt kam wieder ein Spruch vom Oberbürgermeister, dass auch für sie (wie für andere RednerInnen vorher) gelte, damit vorsichtig umzugehen. Das gefundene Fressen für das männliche Publikum, denn schon kamen blöde Sprüche aus den Blöcken der anderen Parteien, die der Oberbürgermeister auch nicht einfing. Exakt an diesem Punkt hatte diese junge Frau bereits verloren, obwohl sie noch keinen Ton gesagt hatte. Und das Schlimme war: Sie wusste es. Ich konnte es in ihrem Blick sehen.

Keinerlei Mindestmaß an wertschätzendem Verhalten

Sie zog ihre Rede weitestgehend durch, die inhaltlich geschickt mit Vergleichen und Bildern aufgezogen war. Wirklich motiviert schien sie verständlicherweise nicht, denn die Sprüche von männlichen Ratsmitgliedern ließen nicht nach, sondern wurden sogar noch lauter – und das nicht nur aus der Opposition sondern mindestens ebenso laut vom Koalitionspartner. Der Oberbürgermeister griff als Sitzungsleitung nicht ein und ließ es laufen (später darauf angesprochen, entschuldigte er sich dafür). Meine Kollegin beendete ihre Rede ein bisschen früher als geplant. Aber das war auch egal, denn die Mehrheit hörte eh nicht wirklich zu. Eigentlich war die Situation an Peinlichkeit kaum zu überbieten: denn zum einen gab es keinerlei Mindestmaß an wertschätzendem Verhalten, dass man einem redenden Ratsmitglied entgegenbringen sollte. Zum anderen ging es um Digitalpolitik, einem Thema, das für den Großteil der Ratsmitglieder nicht nur bisher ein Buch mit sieben Siegeln war, sondern auch bleiben wird, weil sie nicht einmal versuchen, es zu verstehen.

Reflexionsvermögen gleich null

Durchgehend Mucksmäuschenstill und fast eingeschüchtert verhielt sich die Männerwelt des Rates als nur wenige Punkte in der Tagesordnung später eine meiner anderen Grünen Kolleginnen sprach. Es ging inhaltlich um den Fakt, dass es in Bochum zu wenige Möglichkeiten für Frauen gibt eine Abtreibung vorzunehmen – und kein Mann wagte es zu quatschen. Zwei taffe Grüne Frauen sprachen zu ihren Themen, von beiden Inhalten hatten die meisten männlichen Kollegen der anderen Parteien wenig bis keine Ahnung und trotzdem reagierten sie so diametral. Mich macht das wütend, denn ich bezweifle, dass auch nur einer der Männer, die sich lautstark über meine junge Kollegin lustig gemacht hatte, über so viel Reflektionsvermögen verfügt, dass ihm das überhaupt aufgefallen wäre. Von den tiefenpsychologischen Grünen einmal abgesehen.

Die Basis für Gleichberechtigung und Chancengleichheit sind theoretisch längst geschaffen, das Mindset zu verändern braucht offensichtlich noch lange. Wie viele Weltfrauentage braucht es bis dahin? Diese Geduld habe ich definitiv nicht.


Tags

Chancengerechtigkeit, Frauen, Gleichberechtigung, Politik, Politikalltag, Weltfrauentag


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