War 2021 ein gutes Jahr? Klare Antwort: auch. Sicher, einiges lief ganz gut. Vielleicht speisen sich die positiven Dinge aus der Krise? Es ist auf jeden Fall das Jahr, das komplett von Corona bestimmt gewesen ist – vom 01. Januar bis 31. Dezember. Besonders zu spüren bekommen haben das – wie sollte es anders sein – die Familien. Vor einem Jahr steckte ich tief in der emotionalen Krise. Ich bin aufgewachsen in dem Wissen und mit der zunehmenden Erfahrung, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, mein Leben zu gestalten. Nach dem Hinfallen wiederaufzustehen und es beim nächsten Mal besser zu machen, besser machen zu müssen, wenn ich weiterkommen will.
Plötzlich ist das Leben fremdbestimmt
Corona hat mir in meiner Lebenseinstellung einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Plötzlich fühlt sich das Leben fremdbestimmt an. Ich kann lediglich Möglichkeiten finden, das Leben innerhalb der engen Regeln erträglicher zu machen. 2021 fängt mitten im Lockdown an und setzt sich mit dauerhaft geschlossenen Schulen fort. Ein Wink des Schicksals, dass mitten in dieser Zeit eine Woche lang so viel Schnee liegt, dass wir JEDEN einzelnen Tag Schlitten im Stadtpark fahren – völlig surreal in Zeiten des Klimawandels.
Ein System ist nicht in der Lage, angemessen zu reagieren
Ebenso unwirklich: Mit der Pandemie bin ich nicht nur Mutter sondern auch noch Lehrerin. Ich kann zwar gut mit Kindern umgehen, aber für das Lehren fehlt mir die Geduld. Mit meiner Tochter funktioniert der Distanzunterricht recht unproblematisch. Die Zeit zuhause mit meinem Sohn fühlt sich an wie ein einziger Kampf. Er will ja – das ist mir völlig klar – aber er kann irgendwie nicht. Die Mutter auch noch als Lehrerin, ständige Kontrolle quasi rund um die Uhr. Er spricht das nie aus, weil er es auch nicht denken will, weil er fühlt, dass es falsch ist. Aber wir wissen beide, dass das Problem ist. Kaum ein Tag vergeht ohne Streit, ich raste regelmäßig aus, obwohl wir sonst eine eher ruhige Familie sind. Ich will das alles nicht und trotzdem kann ich nicht anders. Ich werde meinen Sohn schulisch nicht aufgeben, nur weil ein System nicht in der Lage ist, auf die Pandemie angemessen zu reagieren. Selbst ein Jahr nach dem ersten Lockdown hat sich für die Kinder und Familien so gut wie nichts geändert. Diejenigen der Gesellschaft, deren Zukunft sich gerade entscheidet und die doch nichts entscheiden können, werden außer acht gelassen: im Fach Digitalisierung in der Bildung ist Deutschland krachend durchgefallen, Lüftungsgeräte braucht es nicht, denn Sommer wie Winter kann doch gelüftet werden. Kinder können doch den ganzen Tag Maske tragen, auch beim Sport. Erleichterungen für Kinder gibt es meist nur mit Verzögerung, Verschärfungen gelten für Schüler meist zuerst. Die himmelschreienden Ungerechtigkeiten am laufenden Band zehren an mir.
Wir haben Corona
Wir sind vorsichtig, verabreden uns nur mit wenigen Menschen. Und doch trifft es uns: im April, direkt vor Ostern. Wir stecken uns bei Freunden an, die nahezu einzigen, mit denen wir uns noch treffen, der Jungs wegen. Mich erwischt es heftig, meinen Mann nicht ganz so schlimm, aber doch genug, um einige Tage aus der Bahn geworfen zu werden. Die Kinder haben nur sehr milde, aber – für mich aber nicht für das Gesundheitsamt eindeutige – Symptome. Und wieder bekommen wir die volle Härte der nicht durchdachten Regelungen zu spüren. Mein Mann kämpft fast bis zum Äußersten mit der Verwaltung, um die Kinder von der unsinnigen Quarantäne-Verlängerung zu erlösen. Wir erkranken zum selben Zeitpunkt, aber die Kinder sollen drin bleiben?
Auszeit in Schweden ist unsere Rettung
Wir kämpfen uns bis zu den Sommerferien durch die Pandemie. Die Auszeit im Sommer tut uns gut. Schweden, das Land ohne große Einschränkungen. Das Land, auf das zu Beginn der Pandemie viel geschimpft worden ist und das nach eineinhalb Jahren besser dasteht als Deutschland. Immer wieder verzweifeln wir an unserem deutschen System, vor allem wenn wir sehen, dass es auch anders geht.
Die Endlosschleife
Der Rest des Jahres ist irgendwie eine Endlosschleife. Wir durchlaufen sie inzwischen mit Routine, schrauben hier und da an Veränderungen. Mein Sohn hat die schulische Kurve geschafft, steht mit passablen Noten und regelmäßigen Erfolgserlebnissen da. Beide Kinder trainieren in ihren Sportarten, spielen gern ihre Instrumente, treffen ihre wenigen festen Freunde. Alles gut? Den Umständen entsprechend: ja. Wir haben das Jahr als Familie gemeistert und das meine ich ernst: Dass wir uns nicht verloren, dauerhaft verletzt oder einer von uns psychisch krank geworden sind, ist unsere persönliche Meisterleistung. Viel zu vielen ist es anders ergangen. Das bedrückt mich und macht mich wütend, denn viele Entscheidungen hätten anders getroffen werden müssen. Zugunsten derjenigen, die keine eigenen Entscheidungen treffen können. Als hoffnungsloser Optimist hoffe darauf, dass 2022 Licht am Ende des Pandemietunnels erscheint.
