Es war reiner Zufall. Wir müssen wir diesem Samstag kurz ins Büro. Schon auf dem Weg dahin, fällt uns die Demo vor dem Schauspielhaus auf. Stimmt ja… Samstag… Querdenker – vor dem liberalen und vielfältigen Schauspielhaus. Wir können einfach nicht widerstehen. Wir müssen zuhören. Das grummelige Gefühl im Bauch ignorieren wir. Der Platz ist gut gefüllt, die Polizei wird die Zahl später auf 350 TeilnehmerInnen schätzen. Meiner Meinung nach sind es so viele nicht, aber allemal zuviel.
Querdenker-Frauen, Mitte 50, in Feierlaune
Wir stellen uns nach hinten, im Fall der Fälle sind Polizisten nur wenige Schritte entfernt. Von hier aus können wir die heterogene Masse gut beobachten. Schräg vor mir steht eine kleine Gruppe von Frauen, Alter geschätzt auf Mitte 50 , die die Kundgebung eher wie einen Mädelsabend feiert. Sie kichern und lachen ununterbrochen. Aus einem ernsten Grund scheinen sie nicht hier zu sein. Sie hüpfen vor Ausgelassenheit oder auch wegen der Kälte von einem Bein aufs andere.
Meine Gefühle wechseln zwischen Faszination und Abscheu. Das sind sie also, Menschen, die sich weigern Maske zu tragen, geschweige denn sich impfen zu lassen. Was treibt diese Menschen an? Manche schauen ernst, manche gelangweilt, andere wieder sehr scheu als wenn sie nicht gesehen werden wollen. Ob hier noch mehr Leute wie wir stehen, die einfach nur gucken wollen? Vermutlich ja, aber auch eher am Rand so wie wir.
Der „Attest-Arzt“ Triebel wird schon erwartet
Den Redner kann ich nur schwer verstehen, was hauptsächlich daran liegt, dass der Typ nicht ordentlich ins Mikro sprechen kann. Dann wird der Star der Kundgebung angekündigt und es geht ein Raunen durch die Menge als wenn die meisten nur auf ihn gewartet hätten: Dr. Andreas Triebel. Er ist gern gesehener Gast bei den Querdenkern. Bekanntheit außerhalb der Szene hat er vor allem als „Attest-Arzt“ erlangt, weil er Bescheinigungen zur Befreiung zum Maskentragen ausgestellt hat – natürlich ohne nachweisbaren medizischen Grund.
Auch für mich ist Triebel der Höhepunkt der Veranstaltung: Ich bin fassungslos, wieviel Unsinn ein einzelner Arzt von sich geben kann. „Herr! Wirf Hirn vom Himmel“ schickt mir mein Partner per Nachricht aufs Handy, denn er wollte sich doch noch unter die Menge mischen, um näher zu schauen, wer sich da so tummelt. „Die letzten zivilisatorischen Schranken sind gefallen“, ruft Triebel. „Stimmt!“, denke ich, meine aber im Gegensatz zu ihm seinen Blödsinn: „Auf die Schwere der Erkankung hat die Impfung keinen Effekt“, „die Geimpften sind so sehr geschwächt, dass die Mehrzahl der Erkrankten aus Geimpften besteht“, „schwere Verläufe werden geradezu provoziert“, „Todesfälle gibt es besonders unter jungen, geimpften Männern“ oder „niemand weiß, ob nicht das Gehirn geschädigt wird“. Letzteres scheint bei ihm definitiv schon passiert zu sein und das ganz ohne Impfung. Diesen Verdacht bestätigt er mit weiterem zusammenhanglosen Zeug, das zwar nicht ins inhaltliche Konzept passt, aber offensichtlich gesagt werden muss. Triebel schwurbelt von Heizkosten, Fracking und Amerika. Von den Parkeinnahmen der Stadt am Dr-Ruer-Platz, einer halbnackten Frau und Judenverfolgern.
Ich versuche krampfhaft, den Zusammenhang zu verstehen, während eine italienische Hymne angestimmt wird, die offensichtlich keiner kennt. Der definitiv inzwischen vor Kälte bibbernden Frauentruppe ist das völlig egal: Sie trällern irgendwie mit. Danach formiert sich die Masse langsam zum Protestmarsch an der Oskar-Hoffmann-Straße. Mein Blick fällt auf eine blaue Flagge in der Menge: die weiße Friedenstaube darauf wirkt völlig fehl am Platz. Ich bin froh, dass ich niemanden aus meinem Bekanntenkreis sehe.
Three Billboards Outside Schauspielhaus, Bochum
Der stumme Protest des Schauspielhauses spendet mir ein bisschen Trost inmitten dieses Irrsinns. Eine befreundete Dramaturgin hatte vor gut einem Jahr – als die Querdenker erstmals vor dem Theaterhaus demonstrierten – die Idee dafür: Auf der großen Tafel wechseln drei Aussagen auf rotem Grund kontinuierlich https://www.instagram.com/p/CHlRLdGATz_/. Diesmal: „5,1 Millionen Coronatote“, „und immer noch Verleugnungen“, „wie kommt’s?“. Es ist angelehnt an den Film „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von Martin McDonagh, in der eine verzweifelte Mutter nach dem Mörder ihrer Tochter sucht – unter anderem mit drei Werbetafeln vor der Stadt. Mir gefällt dieser stumme Protest. Alles ist gesagt. Es gibt nichts zu diskutieren, die Fakten sprechen für sich. Vor einem Jahr konnte sich meine Freundin den Querdenkerprotest nicht ansehen. Sie blieb dem Schauspielhaus fern, weil sie diese Leute nicht aus der Nähe ertragen konnte. Heute verstehe ich sie noch besser als damals.
Der Protestzug der Querdenker ist fast abgezogen, während wir noch auf dem Platz stehen. Da erkennen wir ganz am Ende doch jemanden: Eine Tagesmutter aus dem Viertel. Schade, denke ich und frage meinen Partner: „Was machen wir jetzt?“ Schnell sind wir uns einig: Wir müssen unsere Freunde informieren, die ihr Kind dort betreuen lassen.
