Es fühlt sich an wie Lampenfieber als meine erste Ratssitzung näher rückt. Eigentlich gibt es überhaupt keinen Grund dafür: Unsere Fraktionsmitarbeiter haben alles vorbereitet. Ich muss nicht reden, nur im richtigen Moment die Hand zur Abstimmung heben. Selbst das kann doch nicht allzu schwer sein, denn ich muss mich nur an der vorderen Reihe – den Fraktionsvorsitzenden – orientieren. Eine interne Vorbesprechung gibt es auch noch. Und dennoch bin ich aufgeregt. Diese große Verantwortung eines Ratsmandats macht mich demütig. (Das tut es übrigens immer noch, aber ich fühle mich nicht mehr so eingeschüchtert wie vor einem Jahr). Am 19.11.20 springe ich nach langem Warten ins politisch kalte Wasser (gewählt wurde immerhin am 13.09.), auch wenn ich schon knapp zehn Jahre Parteiarbeit hinter mir habe. Corona hat die vergangenen Monate nachhaltig geprägt. Selbst der Wahlkampf ist so ganz anders als sonst gewesen – zusätzlich habe ich erstmalig auch für meinen ganz persönlichen Einzug ins Rathaus gekämpft.
Typisch weiblich?
Dann stehe ich vor dem Bochumer RuhrCongress, denn der Ratssaal im Rathaus ist angesichts des pandemiebedingten Hygienekonzepts zu klein. Alles am Kongresszentrum kommt mir auf einmal extrem riesig vor: Der Vorplatz, der Eingangsbereich und auf jeden Fall der Ersatz-Ratssaal. Der ist lang und breit und hoch, die Tische weit voneinander entfernt. Da ist es wieder, mein Lampenfieber und die Unsicherheit, irgendetwas Entscheidendes falsch zu machen. Vermutlich eine typisch weibliche Eigenschaft, denn ein paar meiner ebenfalls neuen Grünen Ratskolleginnen geht es genauso.
Harte Zeiten für kommunikativ gepolte Menschen
Dann endlich der große Moment. Die Ansprache vor dem frisch zusammengewürfelten Ratsplenum beginnt. Wie im Bundestag darf auch hier der Alterspräsident zuerst sprechen, ein altgedientes CDU-Mitglied, seit 40 Jahren im Rat der Stadt. Dann übernimmt der Oberbürgermeister. „Wir halten an den Präsenzsitzungen trotz Corona fest“, sagt Thomas Eiskirch, „das ist entscheidend für die Handlungsfähigkeit einer Kommune.“ Er stellt die Erfolge seiner letzten Legislaturperiode vor und die Ziele seiner neuen. Es fallen Sätze wie „vom Verwalten zum Gestalten“ oder „bei uns wird nicht gemeckert, bei uns wird angepackt“ oder auch „vor uns liegen arbeitsreiche Zeiten“. Mich beschleicht der Gedanke, dass fünf Jahre Ratsarbeit für einen sehr kommunikativ gepolten Menschen wie mich, eine harte Zeit werden könnte.
Mitschreiben und Profile im Kopf anlegen hilft
Die Rede des Oberbürgermeisters ist nur ein Vorgeschmack, eine Übung für mich, wie gut ich viele Stunden dauernde Ratssitzungen gespickt mit Reden ertragen kann. Was mir dabei sehr gut hilft, ist Mitschreiben. Als Journalistin tue ich das sowieso. Hin und wieder ist es durchaus hilfreich, Aussagen nachlesen zu können. Oder mich nachträglich zu ämusieren, denn manche Reden von Ratsmitgliedern sind wirklich anmaßend, sachlich falsch, populistisch oder einfach nur grottenschlecht. Der Gedanke, der mich in der ersten Sitzung beschlichen hat, hat sich ins Positive gedreht. Für Ratsmitglieder, die häufig sprechen, hab ich schon ein Profil in meinem Kopf angelegt. Sobald sie nach vorn zum Redepult gehen, male ich mir ihre Reden aus: inhaltlich und stilistisch. Das macht richtig Spaß! Und ich lerne dabei. Denn auch wenn ich Menschen unheimlich gern zuhöre: ich selbst halte nicht gern Reden.
Reichlich unspektakulär in den ersten drei Monaten
Wie ist sie letztlich gewesen, meine erste Ratssitzung? Reichlich unspektakulär! Der Rat dreht sich an diesem und den folgenden beiden Sitzungen hauptsächlich um sich selbst: Wer in welchem Ausschuss sitzen darf, dass sich zwei sehr unterschiedliche Kleinstparteien zusammenschließen, um in den Genuss einer Fraktion zu kommen und ähnliche Fragen. Inhatlich interessant ist es doch erst nach drei Monaten geworden.
Warum habe ich mir nochmal so viele Gedanken gemacht?
