März 8

Mama, kann es sein, dass die Welt zu männlich ist?

Es ist schon einige Wochen her: Ich fuhr mit meiner Tochter im Auto und im Radio lief ein Bericht über irgendeinen Machthaber. Es war der übliche Bericht über das Fehlverhalten eines vermeintlich großen Politikers. Vielleicht kommentierte ich es nur mit einem Seufzen oder lediglich mit einem Augenrollen. Aber meine achtjährige Tochter fragte mich völlig unvermittelt: „Mama, kann es sein, dass die Welt zu männlich ist?“ Hätte ich nicht im Auto gesessen, wäre ich vermutlich auf die Knie gesunken vor Dankbarkeit, ob dieser klaren und doch so simplen Einschätzung eines Mädchens, das intuitiv gendert, weiß, dass Mädchen Astronautin werden dürfen und aktuell den Beruf der Försterin anstrebt (mein Sohn dagegen Grundschullehrer). Sie wird auch von Jungs zum Kindergeburtstag eingeladen (geht natürlich auch hin) und droht ihnen mit einem Tritt in die Weichteile, wenn sie das Gefühl hat, sich verteidigen zu müssen. Von der Rosa-Hellblau-Falle habe ich sie entgegen dem „Wart-Mal-Ab“-Unken von Familie und Freunden erfolgreich ferngehalten.

Absolut! Die Welt ist einfach zu männlich

Wenn also ein Mädchen, das gleichberechtigt in einem diversen, multikulturellen Westdeutschland aufwächst, solche Einschätzungen von sich gibt, wie weit sind wir dann eigentlich wirklich bei der Gleichberechtigung? Meine Antwort auf ihre Frage zur männlichen Welt war ebenso klar wie simpel: „Absolut!“ Sie merkte, wie mich ihre Einschätzung der Weltkonstellation überraschte. Seitdem gibt es eine Art Code zwischen uns: Immer wenn es irgendwo um Männer und Macht geht, kommt nun die Feststellung: „Die Welt ist einfach zu männlich“.

Mich beschäftigt dieser Satz seitdem sehr. Das Thema Frauen in Führungspositionen ist in 2022 immer noch aktuell. Dabei hat es mich erst spät eingeholt. Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen, wo Frauen vor der Wende selbstverständlich Fabriken leiten konnten und Vollzeit gearbeitet haben. Frauen, die für ihre Kinder zu Hause blieben, waren Außenseiter. Heute müssen sich Frauen dieses gesellschaftliche Recht regelrecht erstreiten und poltisch einfordern. Frauen verdienen durchschnittlich rund 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, Mütter bleiben beim Schullockdown eher zu Hause als Väter. Frauen, die Firmen gründen, werden benachteiligt, in dem sie nur einen Bruchteil des Kapitals einwerben, das Männer bekommen. Dabei vermehren Frauen das investierte Geld viel erfolgreicher als Männer.

Thomas wird gerade von Christian abgelöst

Der Thomas-Kreislauf besagt, dass in deutschen börsennotierten Unternehmen mehr Männer sitzen, die Thomas heißen als Frauen insgesamt. Die Thomas-Schablone besagte schon vor Jahren, dass das Vorstandsmitglied Mitte der 1960er Jahre geboren wurde, in Westdeutschland studiert hat, gern mit einem Auslandsaufenthalt, Wirtschaftswissenschaftler ist oder Ingenieur. Um diesen Typus mehrfach in hohen Positionen zu finden, brauche ich die Stadtgrenzen nicht zu verlassen. Und obwohl das Problem seit langem bekannt ist, hat es sich jetzt zu Christian verschoben: der trägt ein hellblaues Hemd ohne Schlips und hat nicht promoviert, sondern gegründet. Diversität – nicht nur in Bezug auf Frauen sondern auch auf Menschen mit Migrationshintergrund – Fehlanzeige. Thomasse besetzen ihren Posten wieder mit einem Thomas und bei Christians läuft es vergleichbar

Angesprochen auf das Problem, ist das erste Argument: Es gibt zu wenig Frauen, die sich für die ausgeschriebene Stelle interessiert haben. Bähm! Totschlargument. Für Einzelfälle war das bestimmt so. Aber sind wirklich alle Posten beispielsweise bei Bochumer Stadttöchtern so unattraktiv für Frauen? Wenn ich die Thomasse frage, ist das so. Wenn ich mal genauer umhöre, klingt an der ein oder anderen Stelle raus, dass es interessierte Frauen gab im Bewerbungsprozess.

Seit 111 Jahren Weltfrauentag

Es ist ein hartes Brett, dass es zu bohren gilt. 111 Jahre nach dem ersten Weltfrauentag. #breakthebias lautet der Hashtag des diesjährigen internationalen Frauentags – durchbrecht die Vorurteile. Und derer gibt es ausreichend: Frauen haben keine Ahnung von Finanzen, von Wissenschaft und Technik. Wenn sie Kinder bekommen, sind sie jahrelang raus aus dem Job. Sie können sich nicht durchsetzen und wenn doch, dann nur, weil sie männliche Attitüden annehmen.

Männer haben es sich schön eingerichtet in ihren Thomas- und Christian-Chefsesseln. Und ja, wir Frauen in Westdeutschland haben uns auch eingerichtet in dem Glauben, es mache keinen Sinn zu kämpfen, zu anstrengend. Ja, es ist anstrengend! Sehr sogar. Der „Boah, ist die nervig“-Stempel prangt mir regelmäßig in Sitzungen und Gesprächen auf der Stirn, genauso wie meinen Kolleginnen. Aber langsam, sehr langsam bewegt sich etwas. Denn die Argumente gehen der Gegenseite aus, die vielleicht auch endlich begreift, dass es kein Gegen- sondern ein Miteinander ist. Diversität hilft einer Gesellschaft, der Wirtschaft, dem Miteinander.

Die 4-Tage-Woche kann Gleichberechtigung bringen

Ein befreundetes Pärchen plant gerade, wie sie zukünftig arbeiten wollen. Sie ist Ärztin, er Krankenpfleger in leitender Position. Sie hat ihre Elternzeit genommen, er ist mittendrin. Der Plan: Beide arbeiten 80 Prozent und haben genug Zeit für ihr Familienleben. Ohne es zu wissen, entscheiden sie sich gerade für das Arbeitszeitmodell, dass Männern und Frauen gleichermaßen gerecht werden würde und das Experten zunehmend fordern: Die 4-Tage-Woche für Frauen und Männer. Männer arbeiten dann durchschnittlich weniger, Frauen mehr – die Carearbeit (Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen) würde verteilt. Island hat es bereits erfolgreich getestet. Ergebnis: Die Produktivität sinkt nicht, sondern steigt, die Zufriedenheit auch. Vielleicht sollten wir in Deutschland dringend mit Thomas und Christian darüber sprechen…


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4-Tage-Woche, Care-Arbeit, Feminismus, Frauentag, Gleichberechtigung, Kinder, Thomas-Kreislauf, Vorurteile, Weltfrauentag, Wirtschft


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